Page 31 - Leseprobe
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»Komm«, sagte sie tonlos, indem sie nur die Lippen bewegte und Alfred leicht in die Rippen
stieß.
>>Was hältst du davon?<< fragte sie, als sie wieder im Auto saßen.
>>Ich wette, den Menschen, den sie da eben abgeführt haben, lassen sie in spätestens einer
Stunde, wenn die Demonstration vorbei ist, wieder laufen. Mit solcher Aktion wollen die nur
mal Zähne zeigen, können aber nicht wirklich was machen<<.
>>Na, mir reicht das schon«, sagte Renate lakonisch.
>>Im Grunde<<, sagte Alfred, >>ist so ein Schweigemarsch eine clevere Sache. Ist eine
Demonstration, aber offiziell ist es keine, niemand redet, keine Transparente, und die Leute
stehen nicht, sie gehen, das Ganze verstößt also nicht gegen das Wegerecht der Stadt. Kluge
Sache<<.
>>Ja, meinst du denn, das führt zu was?<<
>>Nee<<, sagte Alfred kategorisch, >>erstens sind sich die Intellektuellen nicht einig über
ihre Ziele. Und zweitens wollen die gar keinen Umsturz. Die wollen zum Beispiel keine
Marktwirtschaft, sondern vermutlich<<, und hier wurde sein Ton ironisch, >>den Übergang
vom Sozialismus zum >wahren Kommunismus<. All diese großen Worte, die da in den
Kirchen geredet werden, an denen die sich berauschen, das bedeutet für den kleinen Mann
kein Brot. Für uns seh ich da nicht viel bei herauskommen<<.
>>Schade<<, seufzte Renate, >>wär schön gewesen, wenn wir nicht flüchten müßten<<.
Als sie auf dem Rückweg wieder an der Straßensperre vorbeikamen, stand die lange
Schlange der herausgefischten Wagen immer noch da und wurde von der Volkspolizei und
ihren zivilen Helfern aufs Penibelste daraufhin überprüft, ob die Autos gestohlen waren. Und
als der Schweigemarsch vorbei war, da stellte sich dann endlich heraus, daß der Verdacht auf
Autodiebstahl ein Fehler gewesen war. Tut uns leid.