Page 32 - Leseprobe
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Im Frühsommer des Jahres 1988 stand der Fluchtplan in allen Einzelheiten fest, und die
Vorbereitungen waren ebenfalls so weit gediehen, daß man von heute auf morgen los konnte.
Kurz nach der Probefahrt auf dem Schwerirrer See hatte Alfred sämtliche Fläschchen
Kautschukfarbe in einen großen Topf gegossen, und zu einem undefinierbaren, aber
einheitlichen Graubraun zusammengerührt und schließlich das Boot damit angemalt. Und
schon lange vor diesem Ereignis hatten er und Marco das Zusammenbauen und Aufpumpen
des Bootes geübt, so daß es im Ernstfall schnell und ohne Fehler vom Stapel laufen konnte.
Durch Übung hatten sie den Vorgang auf 25 Minuten reduzieren können.
>>Und jetzt<<, hatte Alfred dann gesagt, >>jetzt müssen wir das im Dunkeln üben<<.
Und dann fingen sie nachts im Keller von vorne an mit dem Zusammenbauen.
Außerdem hatte Alfred Segeltuch und anderes Einwickelmaterial besorgt, damit sie alle
verräterisch aussehenden Teile verpacken und verschnüren konnten. Das waren vor allem das
Boot und der Motor. Auch das Auspacken im Dunkeln übten sie.
Der selbstgebaute Blasebalg hatte sich jedesmal gut bewährt. Die kleine Pumpe, die zum
Schlauchboot gehörte, wollte Alfred auch mitnehmen, da sie wenig Platz im Boot einnehmen
würde und zu einem eventuellen Nachpumpen während der Überfahrt eingesetzt werden
könnte. Der große Blasebalg müßte wegen Platzmangels leider am Strand zurückbleiben.
Der volle Tank stand ebenfalls bereit. Dann hatte Alfred die beste Karte, die er auftreiben
konnte, parat liegen. Die Navigationsroute hatte er darauf aus Sicherheitsgründen zwar nicht
eingezeichnet, doch hatte er sie sehr genau im Kopf. Fünf Stunden Rudern würde sie durch
diese schmale Schneise bringen, die er zwischen dem nach Westen liegenden
Grenzbootgeschwader und den Warnemünder Schiffen bemerkt hatte. Dann Kurswechsel
nach NNW, um das vor Dänemark liegende Schiff zu vermeiden, und eine Stunde später
direkt nach W, jetzt mit dem Motor. Das Ganze würde seinen Berechnungen nach neun
Stunden dauern.
Alfred hatte sich inzwischen auch für den Platz entschieden, wo sie mit dem Boot zu Wasser
gehen wollten: östlich von Kühlungsborn, etwas außerhalb der Stadt, am Fulgenbach.
Andererseits räumte er sich in diesem Punkt immer noch Beweglichkeit ein bei seinen
täglichen Erkundungsfahrten. Man konnte leider nie wissen, ob die Grenzer nicht plötzlich
ihre Routine änderten.
In Bezug auf den Zeitpunkt der Flucht war er auch zu einem Entschluß gekommen: im
Herbst müßte es sein und zwar in diesem Herbst noch. Er brauchte Dunkelheit, er brauchte
Nebel, und es durfte noch nicht zu kalt sein. Ende August war der früheste Termin, Ende
Oktober möglicherweise der letzte.