Page 3 - Leseprobe
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Einleitung
Die eigentliche Geschichte, die in Lotte Couchs »Aber nicht übers Wasser<< erzählt wird,
handelt in erster Linie von Mut und großem menschlichen Einfallsreichtum.
Umso angebrachter ist es daher, daß diese dramatischen Ereignisse aus der Sicht einer
dritten Person erzählt werden, und nicht von den Kostbades selbst, um deren risikoreiches
Abenteuer es hier geht. Denn zu der Zeit, zu der sich deren Abenteuer zutrug, war das
Unterfangen, aus Ostdeutschland auf einem dürftigen Boot kreuz und quer zuerst vom
Ostseebad Kühlungsborn nordöstlich in die Ostsee und dann weiter westlich zur
bundesdeutschen Insel Fehmarn zu flüchten, in der Tat eine große Leistung.
Die Sicherheitsmaßnahmen im Sperrgebiet der DDR und die zahlreichen lokalen
Sicherheitsvorkehrungen, die es den Bürgern unmöglich machen sollten, eine Lücke in der
>>Mauer Ostsee<< (S. 58) zu finden, waren so rücksichtslos und raffiniert, daß es in den
relativ seltenen Fällen, die in der Folge chronologisiert wurden, genausoviel Glück wie Vor-
und Umsicht bedurfte, damit der Fluchtversuch in die Freiheit auch gelang. Wie wir in der
folgenden Geschichte hören werden, war es strengstens verboten, sich ohne einen
sogenannten >>Passierschein<< im Sperrgebiet aufzuhalten. Zudem gab es ein Ausgehverbot
und eine Strandsperre ab 21 Uhr. Die praktischen Hindernisse, die eine Flucht unmöglich
machen sollten, waren genauso entmutigend, wie der Preis, der bezahlt werden mußte, wenn
man auf der Flucht erwischt wurde. Dennoch gab es bis zum Ende der DDR eine kleine
Gruppe von Bürgern, die entweder alleine oder in gut organisierten Gruppen (und damals nur
in sehr seltenen Fällen mit Hilfe aus dem Westen) gewillt waren, in einem verzweifelten
Versuch den Westen zu erreichen, ihre Sicherheit - und in der Mehrheit der Fälle sogar ihr
Leben - dafür zu riskieren.
Wenn sie es nicht schafften, drohte ihnen eine Gefängnisstrafe von 5 Jahren und sie
gefährdeten ihre berufliche Laufbahn bis an ihr Lebensende. Wenn sie es schafften, mußten
sie mit Sippenhaft und Strafaktionen gegen zurückgelassene Freunde und Kollegen rechnen.
Die Gründe, die die Menschen zu solchen gefährlichen Fluchtversuchen veranlaßten, sind in
den entscheidungsbildenden Gesprächen des folgenden fiktionalisierten, aber dennoch
wahrheitsgetreuen Berichts eines solchen Unternehmens genau dokumentiert.
Für diejenigen unter uns, die dieses Buch lesen, aber noch nie einen so starken Drang nach
Freiheit verspürt haben und noch nie solche entmutigenden Lebensbedingungen ertragen
mußten, die das mit der Flucht verbundene Risiko gerechtfertigt erscheinen ließen, ergibt sich
das folgende Problem: Von der Flucht durch den Eisernen Vorhang bleibt nicht viel mehr als
einerseits ein rein statistischer Wert und andererseits im Westen die politische Schadenfreude
über die Unfähigkeit des anderen Deutschlands, sogar jene Bürger innerhalb seiner eigenen