Page 18 - Leseprobe
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Gudruns Kinder, die erst vier und sechs waren, hatten zuerst auch ihr Glück in der Küche
versucht, waren dann aber sehr schnell und energisch von ihrer Mutter ins Wohnzimmer und
vor den Fernseher verbannt worden.
»Ist bei euch irgendwas Neues, irgendwas los?« fragte Gudrun ihre Schwägerin.
»Na, eigentlich nicht<<, sagte Renate, >>in Neubukow passiert nicht viel - aber heute abend
ist da ne Maskerade<<.
>>Was? Ne Maskerade! Laß uns doch allesamt hingehen. Da hätt ich ja nen Bock drauf<<.
Dabei tanzte sie mit dem Spritzbeutel um den Küchentisch.
>>Lust hätt ich schon<<, sagte Renate in einem Ton, der ihre Behauptung Lügen strafte. Sie
hatte blitzschnell überlegt: Wenn Gudrun und Gerd mit ihnen zur Maskerade nach N
eubukow kämen, würden sie da auch übernachten müssen- im Gästezimmer unten im
Tiefgeschoß. Aber da lag in diesem Moment das aufgepumpte Schlauchboot auf den Betten.
Um nämlich die Gummiwände des Bootes vor dem Zusammenkleben zu bewahren, hatte
Alfred es besser gefunden, das Boot ständig aufgepumpt zu halten. Unter keinen Umständen
durften Gudrun und Gerd es sehen, denn sie wüßten sofort wozu es benutzt werden sollte.
Natürlich würden sie nicht zur Staatssicherheit gehen mit dieser Information, aber sie würden
Alfred und Renate zusetzen, doch von dem Plan Abstand zu nehmen - ihr habt es hier doch so
gut. Renate kannte jedes einzelne Argument, denn sie hatte jedes selber Alfred gegenüber
gebraucht.
Aber nicht nur, daß weder Alfred noch Renate Lust hatten, das Für und Wider der Flucht
von Neuern mit jemandem durchzukakeln. Der allerwichtigste Grund zur totalen
Verschwiegenheit war, den Teil der Familie, der hier blieb, vor der Sippenhaft der
Staatssicherheit zu schützen. Gerd und Gudrun, Vater und Mutter, sowie Renates Eltern und
Geschwister - niemand durfte den leisesten Verdacht hegen, denn nach der Flucht würden die
Behörden keinen Moment zögern, jeden Einzelnen in die Zange zu nehmen und ein etwa
vorhandenes Wissen um die Flucht aus ihnen herauszuquetschen. Vater Kostbade könnte
seiner Post dann AufWiedersehen sagen, und Gudrun als Lehrerin hätte auch keinen Frieden
mehr. Ein Stasi-Verhör war kein Zuckerschlecken; das Beste war, wirklich nichts zu wissen.
Aus diesem Grunde würden Alfred und Renate ja auch alles, was sie hier besaßen, stehen
und liegen lassen müssen: das Grundstück mit dem Haus, die gesamte Einrichtung, ihre
Kleider, die Sammeltassen.
>>Kostüme haben wir<<, sagte Gudrun in hoher Begeisterung, >>Urmenschenkostüme,
weißt du? Aus Sacktuch und Kaninchenfellen, Gerd mit Keule, und meins schräg geschnitten,
so daß eine Schulter frei ist, ziemlich kurz - sexy, sag ich dir<<.
>>Aber wir haben keine Kostüme<<, gab Renate zu bedenken.